Snooker-WM 2021 (III)

Posted on May 03, 2021 by Kathi

Wir lieben Snooker für den Stecknadelfallfaktor. Wenn es vor einem wichtigen Ball plötzlich ganz leise wird in der Arena. Wenn 1000 Leute gleichzeitig denken, dass dieser Ball jetzt matchentscheidend sein wird, aber niemand es aussprechen muss. Wir sind glückselig über das zurückgekehrte Publikum, weil beabsichtige Spannungsstille doch etwas ganz anderes ist als Gähnendeleerestille. Weil die Stille auch nur zwischen ein paar reingerufenenen Anfeuerungen, Witzen und Jubelschreien mit handgemachtem Geklatsche so richtig wirkt.

Trotz all der Stille wird auch viel geredet bei so einer WM. Am Tisch nur die Punktzahlen, im Studio eifrig alle anderen Zahlen reihum von allen BBC- und Eurosport-Expert*innen. Beliebteste Statistik der diesjährigen WM: Die Mark-Selby-braucht-länger-als-eine-Minute-um-sein-Wasser-einzuschenken-Statistik.

Eiswürfel nimmt Mark Selby dabei selten, und doch ist er im epischen Halbfinale in 78 Bänden cooler geblieben als Stuart Bingham. Nicht nur am Tisch, sondern auch nach dem Match: “Ich bin nicht hier, um Nebendarsteller in Stuart Binghams neuem TikTok-Video zu werden”, sagte er sinngemäß. Dieser knappe Satz reichte schon, um Stuart Bingham mit seinem Gemeckere über Selbys taktische Finesse wie einen schlechten Verlierer aussehen zu lassen. Halten wir fest: Stuarts Auftritte am Tisch waren wesentlich besser als die neben dem Tisch.

Abgezeichnet hatte sich all das bereits im Match gegen Anthony McGill, wo Stuart vor einer Session schon brav bereitstand, um in die Arena gerufen zu werden. Rob Walker brachte allerdings die Reihenfolge durcheinander und kündigte zunächst Anthony McGill an. Hier waren Stuarts Gesichtsausdrücke wesentlich lustiger anzusehen als bei seinem passiv aggressivem Kopfschütteln, um Mark Selbys ersten Fluke des Matches in Frame 26 öffentlich anzuprangern. Zurück also zur McGill Intro und Stuarts innerstem Innenleben:

Stuart: “Du musst entspannt-lässig aussehen, das gibt mehr Likes”

Rob: “Sein Zweitrundenmatch hier war wohl der größte Sieg seiner Karriere”

Stuart: “Aber du bist doch schon mal Weltmeister geworden? Oder? Egal, jetzt nicht gucken, als hättest du den Witz (??) nicht verstanden (???)”

Rob: “Er hat Ronnie in einem grandiosen Entscheidungsframe geschlagen”

Stuart: “YEAH!!! Ach warte, das war ja gar nicht ich. Ich hab ja bloß gegen den Dings, na, wie hieß er wieder, gespielt. OH NEIN! Ich muss hier raus. Warte, kurz cool Lächeln für die Follower, das geht viral, sag ich euch”

Die Final-Walkons hat Stuart verpasst, aber Mark Selby dafür wunderbar für das Finale warmgespielt. Und somit Ronnie O’Sullivan das große Vergnügen bereitet, das Endspiel zwischen seinen beiden Lieblingsspielern der Welt anschauen zu dürfen. Und er muss über die beiden reden. Wohlwollend, denn sie sind ja im Finale. Nicht ganz unbegeistert, denn die Leute sollen ja nicht abschalten. Ronnie sagt dann, dass Mark Selby viel trainiert und – weil er nun eben besonders nett sein will – man über eine Shot Clock nachdenken könne, wenn man wolle, so als Sport. Und der Sport, das ist ja im Grunde er. Nur halt dieses Jahr nicht im Finale.

Shaun Murphy hat auch viel geredet im Vorfeld – unter anderem darüber, dass er eigentlich alles besser kann als die anderen Spieler. Sympathisch, bescheiden, unterhaltsam. Ansonsten lässt er dieses Jahr lieber gleich die Fäuste sprechen. Mark Selby ist abgesehen von seinem Flukeausbruch eher ein Mann der leisen Worte auf der Suche nach der ehrfürchtigen Stille nach einem perfekten Selby-Snooker. Ein packender Schlagabtausch im Finale ist also garantiert.

Kathi