Da hast du hart gearbeitet, um es nach Berlin zu schaffen. Wurdest ausgewählt, den Sport in Berlin vor der ganzen Snookerwelt zu repräsentieren. Hast dich in Form gebracht. Hast meditiert, um die dunkle Wartezeit auf dein Match zu verkürzen. Hast gehört, dass du nicht nur im Tempodrom dabei bist, sondern direkt in der ersten Session deinen großen Auftritt hast – am TV-Tisch sogar. Hast dich gefreut, dass Maike Kesseler die Schiedsrichterin ist, die ins Tempodrom kommt, als wäre es ihr Wohnzimmer. Hast Gänsehaut bekommen, als der Snooker-Jingle durch die Arena hüpfte und alle Zuschauer:innen mit diesem “Es geht wieder los in Berlin, gibt’s denn das?!”-Gefühl klatschten. Warst beeindruckt, dass am Montagnachmittag in Berlin mehr Fans in der Arena Stimmung machen als in Saudi Arabien beim Finale. Und dann, Sekunden bevor du deinen allerersten Ball lochen wolltest, bist du schon raus aus dem Turnier. Der Lebenstraum ist geplatzt, obwohl du schon am Tisch warst. Du wirst beiseite geschoben, ausgetauscht. Weil du nicht der Norm entsprichst, weil der Weltmeister persönlich dir ins Gesicht sagt, dass er dich für eine Fälschung hält. Für unpassend. Für unbrauchbar im Profisnookersport. Du bleibst noch bis zum Interval in der Arena. Hängst beschämt am Schreibtisch des Markers ab, vielleicht ändern sie ihre Meinung ja noch. Doch im Interval ist auch diese Hoffnung zerstört. Marcel Eckardt wirft dich raus. Du schaust ein letztes Mal zurück zum großen grünen TV-Tisch. Du fragst dich, was Kommentator Daniel Schneider wohl über dich gesagt hat. Und was die Fans jetzt wohl denken. Aber es hilft nichts, es ist Zeit. Zeit, deine Snookerkarriere zu beenden, bevor sie so richtig begonnen hat.
Doch keine Sorge - hier in der LochBar feiern wir dich, lieber Spider am TV-Tisch. Du hast dein bestes gegeben. Du warst halt ein bisserl zu hoch. Und als Weltmeister des Filigrankugelsports merkt der Kyren Wilson das halt direkt. Du hast uns viel Freude bereitet in der ersten Tempodrom-Session. Einen kurzen Moment des Verwundert-innehaltens in einer trubelig schönen Session.
Wie jedes Jahr gab es nämlich direkt mehr zu sehen, als man Augen hat. Zhou Yuelong startete direkt mit der 112, da hatten viele gerade erst die Tische durchgezählt (wirklich sieben). Hammad Miah spielte vier Frames lang Chris Wakelin in Grund und Boden, bevor der überhaupt merkte, dass er im Tempodrom ist und hier Snooker spielen soll. Robert Milkins lochte eine Kombination die weder im Publikum, noch am Nebentisch, noch am Robert-Milkins-Tisch, noch im Snookerlehrbuch nach einer guten Idee aussah. Antoni Kowalski hatte Freunde, Flagge und fiese Snooker im Gepäck, konnte damit wieder mal unsere Fanherzen erobern, aber doch nicht gegen Neil Robertson gewinnen. Der sprach aber nach dem Match in den liebsten-lobenden Tönen über seinen polnischen Gegner.
Wer sich für langjährige Snooker-Trends interessiert, kommt in Berlin auch auf seine Kosten: Neil Robertson und John Higgins ließen den alten “Century im letzten Frame”-Trend wieder auferstehen. Der Kühlschrank im Presseraum ist immer noch so laut wie eh und je. Die Community-Umarmungen sind auch in Zeiten sich abkühlender Social-Media-Welten nicht aus der Mode gekommen. Und die Komplimente der Spieler für das German Masters klangen noch nie so schön wie heute, wo wir in Berlin versuchen, das European Masters aus der Versenkung zurück nach Fürth zu klatschen.
Kathi