Live aus Sheffield 2025 (III)

Posted on April 21, 2025 by Kathi

Damit hätte niemand gerechnet. Ein übernatürliches Phänomen lastet auf dem Turnier. So mancher aussichtsreiche Kandidat überlegt, ob er überhaupt noch antreten will. Lohnt sich das? Will man sich das antun? Denn das Ergebnis scheint ja festzustehen, bevor man überhaupt den Anstoß gespielt hat. Ja, eine gewisse Verzweiflung macht sich hinter den Kulissen breit. Doch wir reden hier nicht vom guten alten Crucible Curse, der war ja mit Kyren Wilson beschäftigt. Vielmehr ist es ein Phänomen in Person von Alan McManus, der dieses Jahr beschlossen hat, beim traditionellen Presse-Snookerturnier am Rande der WM mitzuspielen. Das darf er als Kommentator und TV-Experte natürlich. Aber es stellt die sonst hochmotivierten Kollegen von WST und der Presse doch vor eine recht unlösbare Aufgabe.

Das hat er allerdings mit dem Crucible Curse gemeinsam. Wer etwas länger schon Snooker guckt, weiß, dass man als erstmaliger Crucible-Champion seinen Titel nicht verteidigen kann. Auch nicht, wenn man Stephen Hendry oder Ronnie O’Sullivan ist oder Spiegel zertrümmert oder sich dann offiziell bei den Snookergöttern dafür entschuldigt, den eigenen Bruder zum Öffnen von Regenschirmen in Innenräumen oder zum Werfen von Konfetti im Wintergarten in Sheffield (streng verboten!) angestiftet zu haben. So simpel diese Regel erst einmal klingt, so schwierig ist sie in ihren Details. Also bildete sich während der zweiten Session von Weltmeister Kyren Wilson eine Curse-Taskforce aus Journalisten, um vorsichtshalber die perfekt-korrekte Formulierung des Fluchs zu finden. Denn was ist mit den Freunden, die anno dazumal vor dem Crucible ihren ersten Titel geholt hatten und dann im Crucible noch einmal Weltmeister wurden? Und was mit denen, die bei der Titelverteidigung aufgrund des damaligen Formats gar nicht in der ersten Runde eingestiegen sind? Zählen die zu den erstrundenverlierenden oder nur zu den erstmatchverlierenden Titelverteidigern? Welche Namen hast du denn auf dem Zettel? Und wie hat das Dave Hendon formuliert? Da hilft keine künstliche Intelligenz, da hilft nur kollektives Grübeln. Das sich in einer bizzarren Dauerschleife immer wiederholt, wenn jemand Neues den Presseraum betritt, der die Sache mit John Spencer doch noch einmal diskutieren will. Währenddessen wird Lei Peifan wirklich immer besser. Währenddessen werde ich immer hungriger, denn es blieb keine Zeit fürs Abendessen. Währenddessen macht Jamie von der BBC drei perfekte Radioliveschalten über den fulminanten Comebackansatz von Kyren Wilson.

Irgendwann fällt dann auf, dass wir die identische Diskussion ja letztes Jahr an selber Stelle geführt hatten. Ein kurzer Blick in die Artikel über Luca Brecel damals. +1, so einfach kann es dann am Ende doch sein mit der Buchhaltung. Mein Respekt vor dem Snookerjournalismus hat zugegebenermaßen in den letzten Jahren abgenommen, seit Hector Nunns nicht mehr dabei ist. Es geht da im Grunde nur um Zitate und grobe Matchverläufe, seltenst ist einmal Platz für schöne Beschreibungen unseres eigentlich so lyrischen Lieblingssports. Aber diese detailverliebte Suche nach der perfekten Formulierung hat mir doch wieder imponiert. Und der Druck, unter dem die Kollegen stehen, wenn es dann spät wird und von einem weltmeisterlichen Comeback bis zum vollen Fluchzuschlag immer noch alles möglich ist. Da gab es verschiedene Strategien – das kennen wir ja von den Spielern: Der wie auch immer geartete aber immer gescheiterte Crucible-Masterplan von Neil Robertson. Die geniale Idee von Lei Peifan, sich beim allerersten Anstoß im Crucible mit einem Foul maximal tollpatschig anzustellen, um Kyren Wilson in Sicherheit zu wiegen. Die Strategie von Mark Allen, sich vor dem Turnier ganz, ganz, ganz ruhig zu verhalten und dann mit einem Glanzanzug und einer Glanzerstrundenleistung um die Ecke zum kommen. Bei den Printkollegen gab es während Kyrens Comeback die Strategie “jeden Frame mittippen und den Text umschreiben” und die etwas faulere, aber letztlich erfolgreiche Strategie “ach ich spar mir das, der Fluch ist stärker”.

Gegen Ende des Matches wurde es dann laut und lustig: Der kollektive “IT’S THE CURSE”-Chor trat bei jedem Ball zusammen, der nicht rund lief für den Weltmeister. Da wurde gefeixt und getippt und Nervenschokolade verdrückt. Daneben das immer aggressivere In-die-Tasten-Hacken, damit nach der Pressekonferenz nur noch die Zitate in den Text müssen. Das parallele Aufbauen der Videointerviews, “test one two one two”. Den Test hat dann Lei Peifan bestanden und den Weltmeister dem Fluch zum Fraß vorgeworfen. Die letzten Wörter werden getippt, ein ganz normaler WM-Eröffnungsabend im Presseraum geht zu Ende. Ich weiß schon, warum ich mir für diese Abendsession kein Ticket für die Arena geholt hatte. Alan McManus kann sich bei dieser geballten Pressepower jedenfalls warm anziehen im Turnier.

Kathi