Gerade spielt Stephen Maguire in der Crucible-Arena ein wunderschönes Century in Frame 2 und hinter den Kulissen läuft die WM-Auslosung. Das Raunen nach jedem gezogenen Namen ist groß, manchmal wird gelacht, manchmal wundert man sich. Dass ausgerechnet die beiden Topfavoriten diesmal vor dem Finale schon aufeinander treffen… Und da gibt es noch die Begegnung der beiden Safety-Liebhaber, ob die den Zeitplan wohl sprengen werden? Die Auslosung läuft organisatorisch ehrlich gesagt eher so mittel. Rob Walker ist zwar mit dem üblichen Elan bei der Sache, bringt aber ein paar Namen durcheinander und will gleich drei Spieler ins selbe Match losen. Ganz genau, im Presseraum wird die Media World Championship ausgelost, alles für den guten Zweck und das (leider immer noch überwiegend männliche) Journalisten-Ego.
Glaubt man den geklopften Sprüchen à la Hossein Vafaei 2023, herrscht bei diesem Spaßevent fast mehr Rivalität als bei Ricky Walden und Tom Ford, die vor dem Walkon im Gang, während ihrer ersten Session in der Arena und nach der ersten Session auch bestimmt im Graduate oder im Mercure in bester Laune miteinander plaudern. Ein gefühltes Freundschaftsspiel, bei dem sich geniale Momente und totaler Schmarrn unterhaltsam abwechseln, bevor Tom Ford letztlich seinen ersten Crucible-Sieg feiert.
Damit setzt er nicht nur seine Saison wieder in Gang, er befördert trotz tiefstapelnder Pressekonferenz auch die Trennwand im Crucible nach oben. So kommen wir alle in den Genuss des vorzeitigen One-Table-Setups, wo alle im Theater der Snookerträume auf denselben Tisch gucken. Leider gibt das Ali Carter und Stephen Maguire diesmal fast ein wenig zu viel Platz in der heißen Phase des Matches. So muss Marcel als Marker doch nicht aufspringen, um die beiden vom erhofften Boxkampf abzuhalten. Aber er muss aufspringen, um dafür zu sorgen, dass hinter dem Seiteneingang endlich jemand den Walkon-Scheinwerfer ausmacht. Daran merkt man, dass das neue megadynamische LED-Brimborium zum ersten Mal in den Genuss dieser traditionellen Situation kommt, wenn ein Tisch plötzlich dunkel und der andere weiterhin ganz hell ist. Ohne Boxeinlage und leider auch ohne die übliche Crucible-Dampfkochtopfdampflok-Energie von Ali Carter ist das Match trotzdem sehr unterhaltsam. Beeindruckend sind die Safeties der beiden, immer wieder unterbrochen von einem Wahnsinns-Einsteiger oder einem Wahnsinns-Fluke oder einem Wahnsinns-Wahnsinn von Stephen Maguire.
Das Publikum will den Maguire on fire sehen – wahrscheinlich würden sie ihn dann mit dem Bier löschen, das die Herren vor und neben mir wirklich sehr genießen. Wo sonntagmorgens bei Selby gegen O’Connor die guten Perlenketten aufgetragen werden, sorgt abends das flüssige Gold für eine Stimmung, die mich öfters mal schmunzeln lässt. Die Spieler passen natürlich auch bestens dazu. Als Stephen eine gute Chance vergibt, dreht er sich von den Kameras weg und latscht mit einem gepflegten, geflüsterten Ausspruch zu seinem superschnittigen Sitz zurück. Ich bin keine gute Lippenleserin, bin aber überzeugt, dass er dem Ali “l-uck” für dessen folgenden Einsteiger gewünscht hat. Am Schluss gewinnt Stephen Maguire, findet die WM für seine Karriere aber echt nicht so wichtig, außer er gewinnt sie, denkt, er würde jetzt gegen Gilbert statt Murphy spielen und muss dann natürlich die alte Kreidengeschichte auf Nachfrage der Presse wieder aufwärmen. Macht er gerne mit, durchschaut er natürlich, arbeitet er ab wie vorher den Ali Carter. Der sammelt nun erst einmal Flugstunden, bis Donnerstag muss er eine gewisse Zahl erreicht haben, gibt ja nicht nur Snooker im Leben.
Für Shaun Murphy gibt es definitiv neben Snooker auch das Übersnookerreden als große Priorität im Leben, der freut sich am nächsten Morgen wie ein Coronation-Chicken-Sandwich über eine gelungene erste Runde und will Hossein Vafaei in die Schule schicken, damit der sich mal der Geschichte des Sports besinnen kann. Sagt er mit Fliege und Sakko. Nach dem Match. Als Präsident der Perlenkettenfraktion.
Für mich wird es dagegen Zeit, die Perlenkette abzulegen. Noch ein letztes ikonisches “Scenes.” von Rob Walker in Reaktion auf ein Update von der Media World Championship und dann ist meine Zeit im Presseraum für dieses Jahr auch schon wieder vorbei. Aber keine Sorge, das Notizbuch ist noch lange nicht leer – wir sind immerhin im Crucible, hier liegt an jeder Ecke eine Geschichte in der umstrittenen Luft, deren Geheimnis wir ja auch noch lüften müssen.
Kathi