Live aus Berlin (3) – Rotes Licht und mysteriöse Dunkelheit

Posted on January 28, 2022 by Kathi

Das German Masters hat dieses Jahr eine ganz besondere Aura. Es passieren gar übersinnliche Dinge, es liegt ein Gruselfaktor in der Luft – obwohl Jimmy White gar nicht hier ist. Fan Zhengyi gibt ein Videointerview im Presseraum, während im Hintergrund wie von Geisterhand sein Century-Break Stoß für Stoß im offiziellen Livescoring erscheint. Ist das noch Multitasking oder ist das schon die Magie von Windows XP?

Dann ist die gesamte Arena in ein geheimnisvolles rotes Licht getaucht. Das Publikum ist gespannt, Tatort oder Snooker? Shaun Murphy schmiedet jedenfalls düstere Pläne im Interview vor seinem Match gegen Mark Allen. Die beiden Freunde würden am Tisch versuchen, sich gegenseitig um die Ecke zu bringen. Ein paar Bälle in die Taschen zu bringen, würde vielleicht schon reichen, Shaun, aber wir loben uns deine neugefundene Aggression. Heimlich Pläne zu schmieden, wird den Spielern dieses Jahr ohnehin erleichtert, denn die Trainingstische sind neuerdings hinter einer meterhohen dicken schwarzen Stoffwand versteckt. Das mag sportlich und akustisch sehr sinnvoll sein, ist aber auch weniger lustig. Früher war mehr Imvorbeigehenrickybeimtrainierenzusehen. Nun ist es eher ein Rätselraten, wer da wohl gerade die Bälle in die Taschen zimmert. Und ob der Gegner direkt daneben trainiert? Es bleibt uns verborgen, denn man schirmt sich neuerdings etwas ab in der Snookerwelt – ein Trend, der sich hoffentlich nicht weiter fortsetzt.

Endlich fortgesetzt hat David Gilbert dafür eine alte Tradition, vielleicht sein größter Erfolgsmoment dieses Mal in Berlin. Früher hat man es sehr oft gesehen, dass ein Spieler beim Neuaufsetzen des Tisches nach einem Frame mithilft (oder auch “mithilft”). Gerade bei den PTCs oder an Außentischen gehörte das zum guten Ton, während die Schiris noch den Papierkram erledigen mussten. Aber als David Gilbert eben hier in Berlin kurz mithalf, zeigten schon das Gelächter und der Applaus, wie wenig wir das mittlerweile gewohnt sind. Warum ist diese Tradition denn so ausgestorben? Hygieneregeln? Faulheit? Sind die Schiedsrichter*innen zu schnell geworden? Lehnt euch doch zurück Freunde, lasst die Spieler mal mithelfen! Ein Hoch auf den höflichen David, auch wenn Höflichkeit alleine eben keine Matches gewinnt.

Eine Tradition, die hoffentlich in Zukunft wieder mehr gestärkt wird, ist die Nahbarkeit des Snookersports. Das Augenmaß hinter den Kulissen statt starrer Zugangsregeln. Das macht ja gerade den Charme von Snooker aus, dass Blogger*innen überallhin dürfen, dass Spieler mal durchs Foyer statt durch den Star-Eingang laufen. Das ist Profisport ganz nah(bar), dafür beneiden uns viele Hochglanzsportindustrien heimlich. Dass gerade nicht alles normal ist, ist völlig klar. Aber es sollte eben keine Blaupause für eine überprofessionalisierte Zukunft werden. Ein gutes Augenmaß funktioniert bei zu viel Verdunkelung nicht, das gilt auch auf dem Snookertisch.

Kathi