Snooker ist der Sport der Tüftler:innen, am Tisch und abseits davon. Jan Verhaas und Marcel Eckardt tüfteln vor dem Finale am Trophäengriff, die Berliner Obstschale ist nichts für schwache Nerven. Finalist und Co-Sieger der Herzen (neben Ishpreet Singh Chadha) Si Jiahui tüftelt gerne mit allen Verlängerungen herum, die der Tisch hergibt. Das Organisationsteam tüftelt an allen möglichen Tischanordnungen, die so ins Tempodrom passen. Sieben Tische waren es dieses Jahr und sieben Tage. Das muss sich erst einmal absetzen – ich bin ja nicht Judd Trump, der mit all seiner Turniersiegerfahrung beim Jubeln wirkt wie der perfekt programmierte Snookervideospielprototypspieler. Daher kommen nun in der Rückschau sieben besonders besondere Momente der Turnierwoche – genau wie die Tischvergabe im Viertelfinale in keiner sinnvollen Reihenfolge:
Bleiben wir doch gleich beim Sieger, bei Judd Trump. Dass er bei den Tempodromfans gut ankommt, ist bekannt und gut hörbar. Die Gruppenklatscher, Trickshotbeklatscherinnen, Frameballverklatscher, Flukebeklatscherinnen, sie alle kommen auf ihre Kosten und sie gehören alle dazu im Tempodrom. Nur die 2024-Trend-Einzelklatscher mögen den Judd Trump nicht, denn bei seinen Matches kommen sie nicht so recht zum Zug. So viel Beliebtheit bringt sogar den Judd zum Lächeln, hat aber auch Nachteile. WST kann mit Judd Trump kein Videointerview in der Arena nach dem Halbfinale machen, erklärt man mir: Zu viele Groupies, zu viel Gekreische.
Kreischen wollte ich bei einer Unterhaltung im Presseraum: Es ging um neue Snookerstatistiken, die doch richtig cool und edgy wären. Spielballgeschwindigkeit zum Beispiel. Gibt es im Tennis ja auch. Und ob Safety Success so sinnvoll ist? Gar nicht objektiv, brauchen wir das? FREUNDE DER SONNE, WIR SEHEN NICHTMAL EINE RESPOTTED BLACK IN DER OFFIZIELLEN MATCHSTATISTIK. Wir haben neulich erst wieder ein Century Break vergessen, hupsi. Als ich mal gucken wollte, wann der Frame vorbei ist, um in die Arena zurückzuschleichen, war Sam Craigie gleichzeitig bei 72 und 56 Punkten im Break. Haben wir keine anderen Sorgen?
Das musste ich dann raustanzen – zum Glück geht das ja zu Beginn jeder TV-Übertragung mit dem noch recht neuen Snookerjingle. Wiedererkennungswert ohne Langeweile, so muss das laufen. Ich wippe jedes Mal oder mache gar ein kleines Freudentänzchen. Wie auch Tatiana Woollaston nach ihrem grandios geleiteten Finale. Wiedererkennungswert ohne Drama, so muss das laufen. Noch mehr Meme-Potential hat nach Ansicht von WST allerdings Maike Kesseler als Markerin mit ihrem Noch-einen-Achtelball-nach-links-Tanz.
Doch nicht alle waren gut gelaunt und freundlich zu mir im Tempodrom. Einer hat mich während eines laufenden Spiels gar völlig unnötig frontal angepöbelt: Ein blinkender grüner Scheinwerfer von der Sessionanfangsshow blieb beim ersten Halbfinale etwas zu lang angeschaltet und leuchtete mir mitten ins Gesicht. Vier lange Frames lang. Na ja, es gibt eben immer etwas zum Tüfteln. Das mit den Lichtern und dem Tisch 2 kriegen wir bis nächstes Jahr hin, das war doch jetzt erst der Beginn einer neuen Ära mit Heldovers und Maskottchen.
Dass wir mit Topsnooker verwöhnt wurden in Berlin, zeigt sich an den gestiegenen Ansprüchen. Manch einer gähnt jetzt nach drei Centuries in Folge im Finale. Beim Match zwischen Ryan Day und Si Jiahui kamen mir die Leute scharenweise aus der Arena entgegen – man war regelrecht erschüttert angesichts des niedrigen Niveaus. Man rollte augenzwinkernd mit den Augen. Mir ist an anderer Stelle aufgefallen, dass ich das auch tue: Wenn Judd Trump einen langen Einsteiger locht, ertappe ich mich schnell bei einem Jakommgibhaltanabergutdaswarschonderhammer-Augenrollen. Sonst noch wer?
Eher zum heimlichen Augenwischen statt Augenrollem war eine ganz kleine Szene am Rande der zweiten Finalsession. Ben Woollaston war in der ersten Session etwas enttäuscht, dass man Tatianas Walkon nicht im Stream gesehen hat. Irgendwie (vielleicht nach der Happy Hour mit Julian und Chris) hatte ich dann vor der Abendsession den sehr spontanen Plan eines Videoanrufs für Ben und Söhne. Und weil Tatiana vor den Spieler-Walkons eh noch einmal zum Marker’s Desk musste, neben dem ich stand, hat sie die Aktion dann auch noch mitbekommen. Das war rührend, die Woollastons sind ja wirklich die süßeste Snookerfamilie.
Und damit sind wir bei der ganz großen Snookerfamilie. Danke an WST und Snookerstars für die erneute Einladung zum German Masters! Ich sehe meinen Pressepass jedes Mal als Privileg und als Verantwortung – und bin dankbar für meine LochBar-Gäste! Rückblickend habe ich trotz all der sieben Tische weniger Snooker geguckt als geplant: Denn ich habe mich am VIP-Infostand verquatscht, oft auf das Snookerfest des Jahres angestoßen, mit Paul Collier fürs Live Scoring auf Holz geklopft, im Presseraum mit den WST Jungs über Brot diskutiert, mich im Foyer fest umarmen und mit Gänsehaut in der Arena von der puren Snookerfreude auf allen Seiten mitreißen lassen. Berlin! 2025! Wir sehen uns!
Kathi