Live aus Berlin (2) – Warmes Wiedersehen

Posted on January 27, 2022 by Kathi

Man kennt sich. Auch nach zwei Jahren des Wahnsinns. Auch mit halbem Gesicht. Das ist für mich die vielleicht schönste Nachricht des bisherigen German Masters 2022: Wir haben die Pause überstanden, ohne uns komplett aus den Augen zu verlieren. Das gilt vor den Kulissen für die Snooker-Gemeinschaft und hinter den Kulissen für die, die dort herumwirbeln – und sogar für meinen Lieblings-Weltmeister, der mich gleich namentlich gegrüßt hat. Das Wiedersehen war überall herzlich, auch ohne Umarmung. Wir wissen es alle zu schätzen. Wie immer und doch noch einmal neu.

Die zweitschönste Nachricht ist sicherlich, dass das Tempodrom auch mit vier Tischen ein Magnet für fantastische Snooker-Sessions ist. Was war denn gestern Abend bitte los? Im Minutentakt wurden schon zu Beginn der Session die Total Clearances (hört euch den Podcast an!) auf den Tisch gezaubert. Plötzlich wurde Craig Steadman zum Star des Abends, der spielte, als hätte man ihn aus dem WM-Finale 2022 gegen John Higgins direkt in die Berliner Arena teleportiert. Craig Steadman? Ja, wirklich. Fast zehn Jahre ist es her, dass ich den mal mit David Grace zusammen vom Flughafen abgeholt habe. Ein netter Typ war er damals schon, aber nun wahrlich nicht das größte Snookertalent mit dem flüssigsten Spielfluss. Was soll ich sagen – gestern Abend war das flüssiger als der Berliner Nieselregen. Taktisch fantastisch noch dazu, und Berliner Stammgast Michael Georgiou durfte erst nach dem Interval überhaupt mitspielen. Dann dafür mit viel Selbstironie und einem Century-Break, aber mehr war auch nicht zu machen.

Während Georgiou meistens saß, standen diesen ersten Abend über auffällig viele Menschen um die Tische herum. Zunächst an den beiden Außentischen, als das Scoring-System streikte, weil das Windows-98-Update mal wieder etwas länger dauerte. Man kennt es. Während Tisch drei mit kurzer Verzögerung in die Gänge kam, war an Tisch zwei die Batterie in der Fernbedienung so leer, dass jemand manuell das Scoring übernehmen musste. Das Tempodrom hat die Pandemiezeit für ein total schickes und richtig cool extravantes, unglaublich tolles, gar nicht blendendes Update der Beleuchtung genutzt – andere verlassen sich wohl lieber auf die alte, äh altbewährte Technik. Immerhin durfte der Marker wider Willen an Tisch zwei im Sitzen arbeiten.

Das galt nicht für die achtköpfige Expertenkommission zum Thema TV-Tisch, die sich nach der Abendsession zusammenfand und sich der eigenen Bedeutung für den weiteren Turnierverlauf nur allzu bewusst war. Es war stellenweise nass auf dem Tisch, ein Mysterium. Würde man diesen Naturgewalten trotzen können? Man beriet sich. Ausführlich. Und hatte letztlich Erfolg. Denn die Morgensession brachte eine sehr trockene Leistung von Mark Selby mit sich, der Barry Pinches kaum an den Tisch ließ.

Überhaupt nicht trocken war wiederum das Interview, das Mark Selby nach dem Match gab. Ein sehr intelligentes, offenes, tiefes und reflektiertes Zoom-Gespräch über seine mentale Gesundheit mit Hector Nunns. Da ist eine Veränderung bei ihm zu merken, war er sonst für hochprofessionelle aber doch pokerfacemäßige Interviews bekannt. Eine mutige Strategie, aber für ihn sichtlich die richtige – die Wärme, die nach seinen wichtigen Worten im Presseraum spürbar war, wird ihn hoffentlich überallhin begleiten. Wer Mark Selby einmal Backstage erlebt, kann ihm gerade aktuell nur das Allerallerbeste wünschen.

Kathi