Die Dramen des Jimmy White

Posted on September 10, 2013 by Chris

Nachdem ich bereits die fünf meiner Meinung nach größten Comebacks im Crucible Theatre gekürt habe und es inzwischen etwas länger her ist, dass ich mal ein größeres Special zu einem Snooker-Thema geschrieben habe, dachte ich, ich nehme mir heute einmal die unglaubliche WM-Geschichte von Jimmy White vor. Der heute 51-jährige Engländer ist einer der beliebtesten Spieler auf der Tour und vor allem auch bei den Fans, er gilt zudem als bester Snookerspieler aller Zeiten, der nie den Weltmeistertitel erringen konnte. Chancen dazu hatte er: Immerhin erreichte er sechs mal das Finale - von 1990-1994 sogar fünf Mal in Folge - und wurde dort allein von Stephen Hendry vier Mal teils dramatisch besiegt.

1. WM-Finale 1984: Steve Davis - Jimmy White 18:16

Mit dem Einzug ins Halbfinale der UK Championship und dem Triumph beim Masters im Rücken war der Wirbelwind guter Dinge, auch bei der WM ein gehöriges Wörtchen mitreden zu können. Er schlug weitgehend sicher Rex Williams, Eddie Charlton und Cliff Thorburn, ehe er sich gegen Kirk Stevens im Halbfinale mit 16:14 durchbiss und sein erstes Finale bei einem Weltranglistenturnier erreichte. Steve Davis geriet eigentlich nur leicht gegen Terry Griffiths im Viertelfinale in Gefahr und fuhr sonst ungefährdete und deutliche Siege ein, die Titelverteidigung im Hinterkopf. Diese nun endgültig im Fokus, schien Davis auch im Endspiel schon der sichere Sieger zu sein, als er nach der ersten Session mit 7:1 und am Ende des ersten Tages gar mit 12:4 führte. Mit weniger Druck am zweiten Tag konnte White aber 7 der 8 Frames der dritten Session gewinnen und den Rückstand auf 11:13 verkürzen. Trotz einer erneutes Rückschlages, als Davis wieder auf 16:12 davonzog, kam White ein zweites Mal zurück und auf 15:16 heran. Der umkämpfte nächste Frame ging auf die Farben an Davis, ehe der Wirbelwind mit einer 65 wieder auf 16:17 verkürzte. Die erste von 6 WM-Final-Niederlagen konnte er dennoch nicht mehr verhindern: Davis siegte 18:16, gewann damit seinen dritten WM-Titel und wurde der erste Spieler, der im Crucible Theatre seinen Titel verteidigen konnte.

2. WM-Finale 1990: Jimmy White - Stephen Hendry 12:18

Ganze 6 Jahre sollte es dauern, bis Jimmy White erneut das Endspiel der Weltmeisterschaft erreichen sollte. Doch die Zeit nutzte der Wirbelwind sinnvoll: Inzwischen landeten 4 Titel bei Weltranglistenturnieren und diverse andere Trophäen in seinem Portfolio, hinzu kam die für ihn in seiner gesamten Karriere höchste Weltranglistenposition Nummer 2 in den Saisons 87/88 und 88/89. Nach Siegen über Danny Fowler, John Virgo, Terry Griffiths und schließlich auch Steve Davis - der damit zum ersten Mal seit 4 Jahren wieder ein WM-Match verlor - erreichte White endlich wieder das Finale und hoffte auf seine Chance. Diese sollte ihm letztlich von einem 21-jährigen jungen Mann zunichte gemacht werden, der später als erfolgreichster und bester Snookerspieler aller Zeiten gelten wird. Stephen Hendry, bereits mit fünf Turniersiegen im Gepäck, war schon die Nummer 3 der Weltrangliste und übernahm bereits durch den Finaleinzug die Nummer 1-Position nach der WM. Nach einem absolut ausgeglichenen ersten Tag führte Hendry mit 9:7, ein Favorit war nicht auszumachen. Das änderte sich jedoch, als der Schotte die ersten vier Frames der dritten Session für sich entscheiden konnte und seine 6 Frames Vorsprung nicht mehr wirklich abgab. Obwohl der Wirbelwind später noch einmal auf 12:16 herankam, ließ sich Hendry die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Er wurde mit 21 Jahren und 106 Tagen der bis heute jüngste Weltmeister aller Zeiten und gewann seinen ersten von insgesamt sieben WM-Titeln.

3. WM-Finale 1991: Jimmy White - John Parrott 11:18

Geschichte wiederholt sich eben und davor war auch Stephen Hendry nicht gefeit: Nie konnte jemand im Crucible seinen ersten WM-Titel im Folgejahr erfolgreich verteidigen und auch dem Schotten gelang dies nicht. Nach dessen Viertelfinalniederlage gegen Steve James (übrigens seine letzte WM-Niederlage bis zum Finale 1997) war es wieder Jimmy White, der das Endspiel erreichte und dort John Parrott gegenüberstand. Für diesen war es bereits das zweite WM-Finale nach 1989, wo er Steve Davis mit 3:18 unterlag und einiges an Lehrgeld bezahlen musste. Dass ihm das nicht erneut passieren sollte, machte Parrott bereits in Session 1 deutlich, als er mit 7:0 in Front stürmte. Von diesem Rückstand sollte sich White nicht mehr erholen. Obwohl dieser sich peu a peu auf ein zwischenzeitliches 7:11 herankämpfen konnte, war der Sieg von Parrott nicht mehr gefährdet. Mit 18:11 für den heutigen BBC-Kommentator und Entertainer fiel der Sieg unerwartet deutlich aus. Parrott gewann damit seinen einzigen WM-Titel und für White entwickelte sich das Crucible Theatre allmählich zum Fluch.

4. WM-Finale 1992: Jimmy White - Stephen Hendry 14:18

Eines muss man White lassen: Seinen Kampfgeist und seine Spiellust hat er trotz der Rückschläge nie verloren. In sein elftes Jahr bei der WM ging der Engländer mit dem Finaleinzug bei der UK Championship und Turniersiegen bei den European Open und den British Open im Rücken. Seit 1984 hatte White immer mindestens das Viertelfinale beim Saisonabschluss erreicht und diese Serie sollte auch weiterhin halten. In seinem Erstrundenmatch gegen Tony Drago spielte der Wirbelwind sein bis heute einziges Maximum Break, welches gleichzeitig erst das zweite der Crucible-Geschichte war; bis zum heutigen Zeitpunkt sollten noch 7 weitere folgen. Nach knappen Siegen über Alain Robidoux und Jim Wych erreichte White durch ein deutliches 16:7 gegen Alan McManus sein drittes WM-Finale in Folge. Sein Gegner hieß erneut Stephen Hendry, der nach dem Viertelfinalaus im Vorjahr hungrig auf den zweiten Titel schien. Doch endlich schien der Wirbelwind das Glück auf seiner Seite zu haben: Kontinuierlich erarbeitete er sich eine Führung, die er stetig ausbaute. Nachdem er die ersten beiden Sessions jeweils mit 5:3 für sich entschied, erhöhte er den Vorsprung in der dritten Session erst auf 12:6 und dann auf 14:8. Ein weiterer Framegewinn sollte jedoch nicht mehr hinzukommen. Nachdem Hendry auf 9:14 verkürzen konnte, verlor White drei weitere Frames in Folge trotz aussichtsreicher Ausgangslage. Beim Stand von 14:12 schien der Engländer auf dem Weg zu einem frameentscheidenden Break, als ihm dem Pech sei Dank auch der Spielball fiel. Hendry glich erstmals seit dem 3:3 wieder aus und gewann dann auch die wegweisenden und umkämpften Frames 29 und 30 zum 16:14. Mit zwei Centuries holte sich der Schotte schließlich die 10 Frames in Folge und beendete das Match mit 18:14 und seinem zweiten WM-Titel.

5. WM-Finale 1993: Stephen Hendry - Jimmy White 18:5

Wieder einmal ließ sich Jimmy White von der bitteren Niederlage nicht beeindrucken und zeigte eine tolle Folgesaison. Er gewann zum zweiten Mal den Grand Prix und schließlich nach zuvor zwei Finalniederlagen auch endlich die UK Championship. Obwohl ihm zum Saisonende zunehmend die Luft ausging und die Form abhanden kam, schaffte es White zu letztlich ungefährdeten Siegen über Joe Swail, Doug Mountjoy, Dennis Taylor und James Wattana. Im Endeffekt blieb dies aber ohne Bedeutung, denn Stephen Hendry marschierte durch das komplette Turnier mit deutlichen Siegen und ließ White auch im Endspiel keinerlei Chance. Der Schotte spielte bei seinem ersten Besuch am Tisch gleich ein Century und machte seine Ambitionen deutlich. Obwohl White nach der ersten Session nur mit 3:5 zurücklag, lief danach das Match nur noch in eine Richtung. Nach dem 4:12-Rückstand über Nacht war ihm auch in Session 3 nur ein Framegewinn vergönnt, so dass Hendry das Match bereits nach 23 Frames mit 18:5 und einer Session weniger als geplant für sich entscheiden konnte. Es ist bis heute das zweithöchste Ergebnis in einem WM-Finale der Crucible-Ära und nur eines von drei Endspielen, dass ohne die letzte Session auskam. Für Jimmy White war es nun schon die fünfte Niederlage in einem WM-Endspiel, aber wohl gleichzeitig das Jahr, in dem er letztlich die geringsten Chancen auf den Titel hatte.

6. WM-Finale 1994: Stephen Hendry - Jimmy White 18:17

Das letzte von Jimmy's sechs Endspielen war wohl gleichzeitig auch das dramatischste. Nach einer mehr als glanzlosen Saison ohne große Highlights kämpfte sich White überraschend zum fünften Mal in Folge bei der WM bis ins Endspiel durch. Weniger überraschend war, dass sein dortiger Gegner erneut Stephen Hendry hieß. Der Schotte verlor in seinen ersten beiden Matches nur insgesamt drei Frames und gewann auch gegen Nigel Bond und Steve Davis weitgehend ungefährdet. Somit war das Endspiel-Duell der beiden also schon die vierte Auflage dieses Matches in den vergangenen fünf Jahren. Eine Wiederholung der Blamage aus dem Vorjahr schien sich zunächst anzudeuten, als Hendry mit fünf Framegewinnen in Folge gleich zum Start auf 5:1 davonzog. Bis zum Ende der Session hatte White den Rückstand aber immerhin noch auf 3:5 verkleinern können und in der zweiten Session machte er daraus sogar eine 9:7-Führung. Die Spannung des Matches blieb immer auf einem hohen Niveau, was in einem 12:12 nach Session 3 gipfelte. Beim 13:12 war der Wirbelwind dann allerdings zum letzten Mal in Führung. Mit 15:13 und 16:14 lag der Schotte dann zwei Mal mit zwei Frames Vorsprung in Führung, doch White markierte nervenstark mit zwei knappen Framegewinnen den 16:16-Ausgleich. Nachdem Hendry zum 17:16 erneut in Führung gehen konnte und nur noch einen Frame zum Titel brauchte, erzwang White mit einer 75 den Entscheidungsframe. Erstmals seit dem legendären Finale zwischen Dennis Taylor und Steve Davis 1985 sollte also der allerletzte Frame das Match entscheiden. Als Jimmy White beim Stand von 37-24 in einem aussichtsreichen Break bei 29 Punkten lag und damit die Chance zum ersehnten WM-Titel greifbar nahe schien, verschoss der Engländer eine machbare Schwarze vom Spot. Hendry räumte den Tisch mit einer 58 bis Pink ab und holte sich damit WM-Titel Nummer 4. Nebenbei fügte er White damit wohl die bitterste Niederlage seiner Karriere zu.

Zwar gewann Jimmy White nach dieser sechsten WM-Endspielniederlage noch einen Titel bei einem Weltranglistenturnier, doch seine Form fiel seit dem stetig ab. Bei der Weltmeisterschaft erreichte der Publikumsliebling noch 1 mal das Halbfinale und 2 mal das Viertelfinale, kam ansonsten aber nicht mehr über die 2. Runde hinaus. Seit 2006 war er gar nicht mehr beim bedeutendsten Turnier im Snookerzirkus dabei. Es dürfte auf der Main Tour und wohl auch unter dem Großteil der Fans keinen geben, der ihm den Titel nicht gönnen würde, doch das wird für den Crucible-Pechvogel wohl auf ewig unerreicht bleiben. Sein Mythos und seine einmalige Geschichte werden aber im Gedächtnis bleiben, sein Name sowieso. Denn Jimmy White ist auf jeden Fall eins: Ein ungeheuer symphatischer Mensch und wohl der beste Snookerspieler aller Zeiten, dem der WM-Titel nicht vergönnt war.