Das Spiel mit dem Spielen

Posted on January 03, 2019 by Chris

Wir schreiben den 24. Oktober 2017, eine Nachricht schlägt ein wie eine Bombe: Die WPBSA veröffentlicht ein Statement, laut dem Ex-Weltmeister Stuart Bingham auf Snookermatches gewettet haben soll und deshalb vorübergehend gesperrt wird. Damit rückten Probleme erneut in den Vordergrund eines Sports, die dort eigentlich nichts zu suchen haben: Glücksspiel, Matchmanipulation und die Verlockung des Geldes. Klar, mit Bingham landete mal wieder ein richtig prominenter Name in den Schlagzeilen, vielleicht der größte seit den Fällen John Higgins und (vor allem) Stephen Lee.

Die ersten Fälle von Glücksspiel und Matchfixing waren aber auch das nicht. Die Südafrikaner Silvino und sein Neffe Peter Francisco in den 80ern bzw. 90ern waren wohl die ersten bekannteren Akteure, die wegen des Verdachts auf Matchmanipulationen festgenommen bzw. bestraft wurden. Bei Silvino, bei dem es um zwei Matches beim Masters ging, erhärtete sich der Verdacht letztlich nicht. Peter hingegen wurde 1995 für fünf Jahre gesperrt, da er den Sport in Misskredit gebracht hatte. Matchfixing wurde ihm aber nicht nachgewiesen. Das war bei Schwerenöter Quinten Hann schon anders. Der (unter anderem) wegen sexueller Übergriffe angeklagte Australier bekam 2006 eine Sperre für acht Jahre für die Manipulation eines Matches bei den China Open 2005, nachdem er dafür Geld bekommen hatte.

Die Weltmeisterschaft 2010 erschütterte dann der Fall John Higgins, der gemeinsam mit seinem Manager Pat Mooney Opfer eines nicht sehr eleganten Versuches seitens der Zeitung 'News of the World‘ wurde, den Schotten zur Manipulation von Matches zu bewegen. Higgins kam in dem zusammengeschnittenen Video, von dem allerdings nur Ausschnitte an die Öffentlichkeit gelangten, nicht gut weg und räumte ein, dass es eine einfache Angelegenheit sei, den Ausgang von Matches zu beeinflussen. Ihm wurden 300.000 Euro für das bewusste Verlieren von vier Frames angeboten. Zudem wurde der Ablauf der Manipulation und die Möglichkeiten während des laufenden Matches detailliert besprochen. Higgins erklärte, dass sein Manager und er beim in Kiew geführten Gespräch aus Angst um ihre eigene Sicherheit mitgespielt hätten, weil sie die russische Mafia hinter dem Angebot vermuteten.

Der Schotte bekam sechs Monate Sperre und eine Strafzahlung von 75.000 Pfund aufgebrummt, machte sich aber letztlich nur des Vergehens schuldig, nicht sehr clever gehandelt und die Verantwortlichen der WPBSA und von World Snooker nicht rechtzeitig über den Vorfall informiert zu haben. Er wurde nach der ausgiebigen Untersuchung von jeglichem Verdacht auf Matchmanipulation freigesprochen, eine Tatsache, die heute gerne von wenig informierten Zuschauern ignoriert wird. Das Boulevardblatt 'News of the World' wurde übrigens ein Jahr später eingestellt. Das vollständige Video gelangte nie an die Öffentlichkeit und so wird sich der Schotte wohl bis zum Ende seiner Karriere mit Vorwürfen konfrontiert sehen.

Während des Higgins-Desasters lief übrigens eine erste Untersuchung gegen Stephen Lee, die dann aber erst 2012 nach einem mehr als merkwürdigen Premier-League-Match (ironischerweise gegen John Higgins) Fahrt aufnahm. Acht Matches wurden untersucht, sieben davon soll Lee zum Teil beeinflusst bzw. manipuliert und dafür Geld eingestrichen haben. Das brachte dem Engländer schlappe 12 Jahre Sperre und 125.000 Pfund an Verfahrenskosten ein. Pünktlich zu seinem 50. Geburtstag im Oktober 2024 darf der mit einer so atemberaubenden Cue-Action gesegnete Lee dann theoretisch wieder offiziell Snooker spielen.

Die Liste der Spieler, die sich bereits einer Untersuchung wegen Matchmanipulation oder verdächtiger Wettmuster unterziehen mussten, ist lang (und hat inzwischen einen eigenen Wikipedia-Eintrag). Zu den bereits genannten kommen Peter Ebdon, Jamie Burnett, Stephen Maguire, Jimmy Michie, Marcus Campbell, Joe Jogia, Thepchaiya Un-Nooh, Thanawat Thirapongpaiboon, Passakorn Suwannawat, John Sutton, Leo Fernandez, Yu Delu, Cao Yupeng, David John und Jamie Jones hinzu. Im Nachgang der fraglichen Matches von Ebdon, Burnett, Maguire, Michie, Campbell und den drei Thailändern Thepchaiya, Thanawat und Passakorn kam es jeweils zu Untersuchungen, die aber allesamt ohne Ergebnis bzw. mit Freispruch des Spielers endeten.

Bei Jogia, Sutton und Fernandez wurde aus dem Verdacht Gewissheit und die Spieler erhielten Sperren sowie Geldstrafen. Bei John und Jones laufen die Verfahren noch, beide Vorgänge überschneiden sich wohl auch zum Teil. So soll Jones an der Manipulation eines Matches von John beteiligt gewesen sein bzw. diese erleichtert haben. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Artikels ist noch kein Ergebnis der Untersuchungen gegen Jamie Jones bekannt. Es scheint allerdings wahrscheinlich, dass den talentierten Waliser ebenfalls eine empfindliche Strafe erwartet.

Dass die Strafen für derlei Vergehen ziemlich schnell ein Karriereende einläuten können, weiß man spätestens seit den 12 Jahren Zwangspause für Stephen Lee. Man sieht es aber auch an den zwei jüngsten Urteilen gegen die Chinesen Yu Delu und Cao Yupeng. Beide haben zugegeben, Matches manipuliert zu haben. Yu, der sich finanziell bereichert hat und die Ermittler auch bewusst belog, ist für mehr als 10 Jahre gesperrt. Bei Cao reduzierte sich die Sperre dank einer Vereinbarung mit der WPBSA im Kampf gegen Korruption auf knappe zweieinhalb Jahre. Sollte der Chinese nicht entsprechend mitwirken, sind weitere - bislang zur Bewährung ausgesetzte - dreieinhalb Jahre Sperre möglich.

Das Thema Glücksspiel ist aber auch ohne den ganz großen Fehltritt Matchfixing ein viel zu großes Thema, bei dem man sich zwangsläufig fragt: Hat Snooker ein Wett-Problem? Leider scheint es sich bei einigen Spielern immer noch nicht herumgesprochen zu haben, dass das Wetten auf Snooker- und Billiardsmatches für Mitglieder der WPBSA verboten ist. Joe Perry, Alfie Burden und Kurt Maflin dürften dies inzwischen wissen, um nur drei der vielen weiteren Namen zu nennen. Die Dunkelziffer der (noch) unentdeckten Sünder ist vermutlich ungleich höher, auch wenn die WPBSA dank der Zusammenarbeit mit weltweiten Partnern und der Glücksspielkommission ein gutes Kontrollnetz zur Überwachung von Wettaktivitäten aufgebaut hat. Die entscheidende Frage aber bleibt: Warum ist Glücksspiel ein so großes Problem im Snooker?

Erklärungsversuche könnten in Großbritannien beginnen, wo eine ganz andere Mentalität bezüglich Sportwetten herrscht als in Deutschland. Da wird auf der Insel ganz gerne mal schneller auf ein Ereignis gewettet, als man "numpty" sagen kann. Hinzu kommt die sehr enge Verbindung zwischen dem Sport und Wettanbietern, stellen diese doch knapp 90 % aller Turniersponsoren im Snooker. Doch das alleine kann es ja nicht sein, zumal wohl inzwischen jeder Akteur den Inhalt seines Spielervertrages zumindest grob im Kopf haben wird. Joe Perry meinte zum Beispiel, seine knapp 200 Wetten seien schlicht aus "Langeweile und zur Ablenkung" entstanden. Schaut man sich den Turnierkalender mit fast 40 Events in 13 Ländern an, kann man das sogar ein Stück weit nachvollziehen. Die Spieler verbringen viel Zeit ohne Freunde und Familie. Das kann schnell unvorhergesehene Folgen haben. Neil Robertson trieben das viele Reisen und das eintönige Trainingsleben in eine Computerspiel-Sucht, die seine Karriere fast ruinierte. Immer mehr Spieler klagen über Depressionen. Willie Thorne trieb die Glücksspielsucht in den Bankrott.

Hinzu kommt der finanzielle Aspekt. Für die niedriger platzierten Spieler ist es kaum leichter geworden, auch wenn die Spielmöglichkeiten zahlreicher und die Aufstiegschancen deutlich höher sind als früher. Die Konkurrenz ist groß, der Druck enorm und die finanzielle Belastung durch Hotels, Kleidung, Flüge etc. immens. Sponsoren kriegen nur die Großen. Da fragt schon mal ein Spieler einen bereits ausgeschiedenen Akteur, ob er dessen Hotelzimmer haben kann. Der Wegfall der Startgelder zur letzten Saison und die steigenden Preisgelder für die frühen Turnierrunden sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Schließlich gibt es vor allem für Spieler aus Thailand auch noch ganz anderen Druck von außen. Da wird man plötzlich durch Kartelle und die Mafia kontaktiert (oder schlimmer: bedroht). Die Häuser von Thanawat Thirapongpaiboon und Passakorn Suwannawat wurden mit Brandbomben beworfen, als herauskam, dass gegen die Spieler eine Untersuchung gestartet wurde. James Wattana bekam beim Thailand Masters 1999 eine Morddrohung, sollte er sein Match gegen Ken Doherty nicht verlieren. Mit Polizei-Eskorte wurde der Thailänder zum Austragungsort gebracht und ignorierte die Drohung. Doherty gewann das Duell, ohne von den Umständen zu wissen. Sieben Jahre vor diesem Vorfall war Wattanas Vater erschossen worden – an dem Tag, an dem Sohnemann James seine 147 bei den British Open spielte. Auch für diese Tat soll Glücksspiel der Auslöser gewesen sein.

So richtig wird man des Problems wohl nicht Herr werden, solange Wettanbieter einen solch riesigen Platz im Snookersport einnehmen. Hohe Strafen, die das Karriereende bedeuten können, wirken da erstmal abschreckend, doch sind sie abschreckend genug? Welchen Reiz löst das schnelle Geld bei Spielern aus, die die Hoffnung auf eine erfolgreiche Karriere verloren haben? Wird genug Aufklärungsarbeit geleistet, um Spielern Unterstützung im Umgang mit Glücksspielen anzubieten? Ich schätze nicht, zumal das nicht zur britischen Mentalität passen würde. So bleibt letztlich nur das Warten auf das nächste Statement der WPBSA und der kurze „Spannungsmoment“, welcher Spieler es denn diesmal war. Denn die Quote darauf, dass der Fall Jones der letzte Tiefpunkt in dieser Sache sein wird, steht derzeit bei 147 zu 1.