Das Phänomen Jimmy White

Posted on February 01, 2023 by Chris

Dass Jimmy White ein fantastischer Snookerspieler ist, weiß man nicht erst seit diesen Tagen. Der sechsmalige WM-Finalist, inzwischen in seinem 43. Jahr auf der Main Tour, ist ein Ausnahmekönner seines Fachs. In den 80er Jahren bekam er die Dominanz von Steve Davis mit, in den 90ern dann die von Stephen Hendry - sehr zu seinem eigenen Leidwesen in diversen Crucible-Dramen. Er sah den Aufstieg des Ausnahme-Trios um Ronnie O’Sullivan, John Higgins und Mark Williams. White erlebte auch die ersten WM-Titel aktueller Größen wie Judd Trump, Mark Selby oder Neil Robertson live mit. Das liegt nicht nur daran, dass er ein gern gesehener TV-Experte ist, sondern immer noch kompetitiv mitspielen kann.

James Warren White kommt 1980 zu den Snooker-Profis, als frisch gebackener englischer Meister sowie Amateur-Weltmeister. Mit damals 18 Jahren ist er der jüngste, der sich den Titel bei der IBSF holen konnte - ein Rekord, der erst 1999 von Ian Preece gebrochen wird. White steigt schnell in die Weltspitze auf, gewinnt letztlich 10 Ranglistentitel und 28 weitere Einzeltitel auf der Main Tour, darunter das Masters und die UK Championship. Der WM-Titel bleibt ihm (bekannterweise) versagt. Ganze sechs Mal muss er sich im Endspiel des Saisonhöhepunktes geschlagen geben, dabei allein vier Mal gegen Stephen Hendry. Erst 2019 darf der inzwischen 60-jährige im ikonischen Crucible Theatre eine Trophäe in die Höhe recken, auch wenn es „nur“ die des Senioren-Weltmeisters ist.

Ganze 21 Saisons verbringt der durch seinen flüssigen und aggressiven Spielstil „Wirbelwind“ genannte Engländer in den Top 16 der Weltrangliste, hält sich bis 2015 mehr oder weniger souverän auf der Tour. Durch gute Ergebnisse auf der European Tour hält sich White unter den Profis, ist seit 2017 aber auf die so genannten „Invitational Tour Cards“, also Einladungsprofitickets für Legenden, angewiesen. Dass er sich diese aber zweifelsohne verdient, zeigt White vor allem in dieser Saison einmal mehr, was ihn gegenüber ähnlichen Fällen wie zum Beispiel Stephen Hendry herausstechen lässt. Neben den erfolgreichen Qualifikationen für das European Masters und die Northern Ireland Open sorgte White vor allem bei der UK Championship für Aufsehen.

Nur fünf Frames gibt White in seinen vier Matches, die er zur erfolgreichen Qualifikation für das Hauptfeld des Turniers in York benötigt, ab. Er schlägt Victor Sarkis und Mitchell Mann in überragender Manier zu Null, ehe er auch Stephen Maguire mit 6:4 und Dominic Dale mit 6:1 bezwingen kann. Es sind dabei nicht nur allein die Ergebnisse, die beeindruckten, sondern die Tatsache, dass der 60-jährige seine Leistung über die ganze Woche hinweg gegen vier stilistisch sehr unterschiedliche Akteure abrufen konnte. Auch für das German Masters in dieser Woche ist der „Wirbelwind“ nach Siegen über Mark Joyce und Martin Gould qualifiziert. Damit hat er erstmals seit 2017 wieder einen Auftritt im Berliner Tempodrom, und das nicht nur als TV-Experte. Genießen wir die Zeit, die wir mit diesem Ausnahmespieler noch haben, der uns seit über vier Dekaden auf dem Snookerzirkus begleitet. Ewig weitergehen wird diese unnachahmliche Karriere nämlich nicht, auch wenn Jimmy White im Moment seinen nächsten Frühling erlebt.