Ach, was für ein Start war das heute – direkt mit Standing Ovation vor der ersten Session, weil Rob Walker beim morgendlichen Lauf in der Sonne da so eine Idee hatte. Vielleicht ein weiteres Zeichen für die ganz besondere Stimmung dieses Jahr. Die Fans stehen im Crucible stolz für das Crucible auf, bevor überhaupt der erste Ball gelocht wurde. Wo gestern noch ein Gerüst in der Arena stand, ist nun alles bereit für die ganz große Show. Die Spieler müssen diesmal die Treppe runter in die Arena und dann das Treppchen rauf zu ihren neuen Rennfahrersitzen im LED-Cockpit. Mehr Platz ist deswegen trotzdem nicht um den Tisch herum. In der ersten Session ist das Fernsehballett noch nicht ganz eingespielt und Luca Brecel muss sich zwischen Kamera und Ecktasche hindurchquetschen. Aber das sind Kleinigkeiten, und der Weltmeister spielt ohne Fliege luftwegbefreit auf. Er muss ja auch den Crucible-Fluch besiegen. Und dafür sorgen, dass wir die Frisur von David Gilbert nicht länger in diesem Turnier ertragen müssen. Die sieht live nämlich noch deutlich schlimmer aus als im TV.
Kaum zu glauben, was diese erste Session nicht nur emotional, sondern auch snookertechnisch zu bieten hatte. Während Brecel sich mit einer 91, einer 134 und einer imaginären Sonnenbrille ins Turnier chillt, ist es bei Zhang Anda gegen Jak Jones oft komplizierter als eine britische Teebestellung. Immer wenn ich von Tisch eins mal zum anderen Tisch rübergucke, blockiert Schwarz vor 13 versammelten Roten die Tasche oder alles liegt an einer Bande. Da bleibt dann doch der ein oder andere Platz leer in der Arena, da braucht man offenbar zwischendurch mal ein Bier.
Das hat sich auch Paul Collier verdient nach einem wunderbaren und maximal langen ersten Match, das uns direkt den ersten Entscheidungsframe der Hauptrunde beschert hat. Schon früh kommen in der zweiten Session Gedanken an jenen schwierigen Crucible-Abend für Luca vor ein paar Jahren auf, an jenes Match gegen Marco Fu, als Lucas Begleitung kurz nicht mehr zusehen konnte und allein vor der Leinwand auf dem dunklen Tudor Square umhertigerte. Es wird immer brenzliger, es wird immer angespannter im Presseraum, wo ich die zweite Session verfolge. Lucas Crucible-Bilanz ist bekannt, war der Titel ein Neuanfang? Der Entscheidungsframe rückt näher, der Kollege aus Belgien hat keine gute Zeit gerade. Auch die britischen Kollegen haben es mal wieder nicht leicht mit dem Luca. Jetzt müssen sie vielleicht doch noch einmal umschreiben. Oder wenigstens vorsichtshalber eine zweite Version starten? Wann ist die Deadline? Man berät sich und staunt über die Ruhe von David Gilbert.
Dann kommt er wirklich, der Entscheidungsframe. Ist das der Crucible-Fluch, der die Oberhand gewinnt? Der Luca Brecel ein paar Flukes hinwirft und ein paar Ausnahmefeenstaubbälle gönnt, um dann doch erbarmungslos zuzuschlagen? Aber nein, Gilbert vergibt den de-facto-Matchball. Der Weltmeister wird doch nicht? Letztes Jahr war der doch gegen Walden auch 9:6 vorne und es ging in den Entscheidungsframe, den er dann gewonnen hat. Wie viele Versionen sollen wir denn noch schreiben? Und überhaupt, hat der Gilbert in den letzten Jahren nicht öfters über ein Karriereende gesprochen? Nein, der war nur unzufrieden. Um so etwas geht es, während die Tastaturen klackern. Dann, allgemeine Verwunderung. Luca gibt früh auf, da lag doch noch so viel auf dem Tisch. Ein seltsames Ende, da ist man sich einig. Es ist fast ein wenig still. Der Crucible-Fluch, er ist wieder da.
Still bleibt es aber nicht lange, es ist Zeit für die erste Pressekonferenz dieser WM-Hauptrunde. David Gilbert ist stolz auf seine Vorbereitung, weil er diesmal überhaupt eine hatte. Über so Sachen wie den Crucible-Fluch mache er sich jetzt eher keine Gedanken, da müssen dann doch alle kurz über die entwaffnende Bodenständigkeit lachen. Mehr als alles andere wirkt Luca Brecel erleichtert. Seine Perspektive auf den Snookersport als unendliches Spiel, das mit dem WM-Titel nicht beginnt und nicht endet, ist erfrischend. Er freue sich, nun Ex-Weltmeister zu sein. Noch zwei Video-Interviews mit den extra angereisten Belgiern zieht er durch, eine chinesische Kollegin will unbedingt noch ein Foto von seinen Tattoos machen. Und dann ist dieser ganze seltsame einjahrlangdauernde Cruciblefluchspuk für Luca Brecel endlich geschafft.
Kathi