Da möchtest du einfach nur die besten 16 Snookerspieler der Welt mit der WM-Trophäe zusammen auf ein gesittetes Foto kriegen und kommst dir vor wie beim Abschlussball der Oberstufe am Gymnasium Gütersloh: Streber Barry Hawkins und Mark Selby tragen den gleichen Anzug, laufen im Gleichschritt und sind viel zu früh dran, da wurde der Lieferwagen gerade noch weggefahren, um die Crucible-Traumkulisse nicht zu blockieren. Jemand mit Schutzhelm rennt ihm hinterher, also dem Lieferwagen, nicht dem Mark Selby. Neben dem Haupteingang wird noch eine Holzplatte gesägt, die Snookerspielerhecke ist aber schon fertig geschnitten. Mit der Nagelschere, wie man es sich in Sheffield eben vorstellt – da hat die Deko-AG ganze Arbeit geleistet. Inzwischen sind mehr Spieler aufgetaucht und noch mehr aufgeregte Fans. Die ganz coolen Jungs kommen natürlich zu spät, man sucht nach Ronnie O’Sullivan und Zhang Anda.
Man sucht auch die Sonne für das Foto, immerhin regnet es gerade nicht. Luca Brecel hat die Sonne im Herzen und chillt mit Sonnenbrille neben der Trophäe. Fast wirkt es so, als würde er sie Ronnie O’Sullivan mit dem Ellbogen zuschieben. Mark Selby hat sich für hochgezogene Schultern und Drittklässlerlächeln entschieden, passend zu seiner Saison. Tom Ford wirkt eher unentschieden und wird wie eine neue Heckenstatue in Position gebogen. John Higgins und Mark Williams haben schon sehr oft solche Fotos gemacht, auch das merkt man. Wenn man nicht gerade von der von Mama extra rausgesuchten Pasteltraumkrawatte von Robert Milkins geblendet wird. Dann ist das Spektakel auch schon vorbei und alle verziehen sich ins Foyer des Crucible, um Interviews zu geben.
Das war für mich der erste Media Day und eine wirklich überwältigende Atmosphäre. Größte Überraschung: Luca Brecel hat seine Sonnenbrille drinnen abgenommen, da hätte ich anders gewettet. Zweitgrößte Überraschung: Dieser Media Day ist ein einziges lautes, aber dank der Schiedsrichter:innen, die Spieler und Journalist:innen zusammenbringen, gut organisiertes Chaos. Wen würdest du im Snooker auch sonst bitten, Spieler höflich aber bestimmt zur Arbeit zu bewegen. Da oben in der Ecke laufen parallel zwei Videointerviews und einmal Radio. Ganz in der Mitte ist Eurosport positioniert. Dahinter bilden sich Rudel um die ganz großen Favoriten herum. Einige Journalisten verzweifeln, da Luca im Vorabinterview mit ihnen noch den Crucible-Fluch besiegen wollte und plötzlich David Gilbert als Favorit sieht. Ach, hier drüben interviewen herausgeputzte Kinder Spieler. Natürlich den Shaun Murphy als Erstes. Lautstark und mit Gusto kann er sich nicht gleich für ein Lieblingsessen entscheiden. Man glaubt es ihm gern.
Passend zu den Kinderinterviews hat Stephen Hendry in der Nähe seinen Casinotisch aufgebaut, der letztlich auch nichts anderes ist als eine teure Likert-Skala. Die Interviews dauern lange, Robert Milkins muss warten. Zum Glück gibt es Tee und Kuchen. In der Signierschlange stehen Topfavoriten Judd und Ronnie zusammen, sie werden also nicht extra voneinander ferngehalten, um die Spannung zu schüren. Wir sind eben doch immer noch beim Snooker. Irgendwann wird es leiser im Foyer, die letzten Interviews sind gegeben, die letzten Bälle signiert. In der Arena wird gerade Tisch 1 getestet, und darum geht es bei allen schönen Worten ja eigentlich. Die WM beginnt. In Sheffield, wo sie hingehört – da sind sich alle überraschend einig an diesem Nachmittag.
Kathi