Betrügspiel

Posted on January 03, 2023 by Kathi

Aufs Traumschiff wollte ich für den Snooker-Jahresrückundausblick. Eine LochBar mit Schirmchen am Pool. Gute Laune, tolle Aussicht, schlechte Witze, alle Emotionen, Happy End. Aber wie an den Feiertagen läuft auch im Snooker nebenan der Tatort und anders als an den Feiertagen kann ich von dort nicht wegschalten. Es werden immer mehr Fälle, es hängen alle irgendwie zusammen, wir wissen mehr als wir hören wollten und doch gleichzeitig noch gar nichts.

Deshalb kann es hier nicht um die merkwürdige Abofalle Snooker gehen, in der die anstehende Abschaltung des Windows-98-basierten Eurosport Players für große Verwirrung sorgt. Vorletztes Jahr sollten wir uns Prime holen, letztes Jahr Joyn, jetzt Discovery. (Verstanden habe ich das alles immer noch nicht, aber ich bin sicher, dass mit der Player-Abschaltung auch das Live Scoring wieder zusammenbricht.) Es kann auch nicht um lustige Cutoffs, um Loserinterviews von Siegern, oder um Mark Williams’ neues Sendungsbewusstsein als Designer und Spielervertreter gehen. In der letzten LochBar ging es ums Tippspiel, jetzt ums Betrügspiel. Selbst Toilettenpausendiskussionen wären mir lieber.

Es gibt einen Wettskandal im Snooker. Zehn chinesische Spieler sind suspendiert. Mit Zhao Xintong  und Yan Bingtao sind beide Finalisten des letztjährigen German Masters, das krass kurioserweise total lustig mit 9:0 endete, suspendiert. Wir wissen noch nicht, wer für welches Vergehen suspendiert ist. Wir wissen aus Erfahrung, dass es eine juristische Bandbreite zwischen mehrfacher Spielmanipulation und Mitwisserschaft gibt. Wir wissen aus Menschlichkeit, dass es eine moralische Bandbreite zwischen bedrohter Familie, unerfahrenen Teenagerspielern im fremden Land und der Billigung und Unterstützung wettmafiöser Strukturen gibt. Wir wissen noch nicht, wer letztlich gesperrt wird und für wie lange. Wir wissen, dass es bald Ergebnisse geben soll. Wir wissen jetzt schon, dass wir anschließend lange und schwere Diskussionen haben werden – miteinander und mit unserem eigenen Snookerherz.

Solange wir nichts wissen, spekulieren manche von uns. Zhao Xintong gegen Mink. Oder sein Hust-Match. Natürlich das Berliner Finale. Wo waren die Quali-Überraschungen an Tisch 6 in der dunklen Ecke? Das mögen andere verwerflich finden: Besser abwarten, was die Offiziellen herausfinden. Belegt ist doch nichts. Aber nach dem letzten Jahrzehnt – angelehnt an den chinesischen Kalender nenne ich es mal das Jahrzehnt des Faultiers – wissen wir auch, dass die Snookeroffiziellen Spekulationen viel ernster hätten nehmen sollen. Man muss Sportwetterei nicht für eine kluge Lebensentscheidung halten. Aber die Quotengurus im Snooker haben mehr als einmal auf seltsame Matches hingewiesen. Deutlich. Kollektiv. Ohne Reaktion seitens der Offiziellen. Das heißt, Reaktionen gab es schon – von den Wettanbietern, die gewisse Matches oder Spieler blockiert haben. Da geht es ja um den Profit, nicht nur um die Integrität. Profispieler bekommen auch viel mit. Sie sind frustriert, weil sie viel mitkriegen und nichts sagen dürfen, das sagen sie mir heimlich. Da käme die Strafe ja sofort, bei unbedachten Aussagen oder bedachten Meinungen wird nicht lang gefackelt. Es gibt anscheinend nicht die richtigen Strukturen, um eine unabhängige Untersuchung anonym anzuregen. Ist das noch ein Gentleman’s Sport oder schon ein Gentlemen’s Club? Und das ist nicht die einzige offene Frage, werfen wir ein paar in den Raum:

Wie geht es weiter mit der Integrität des Snooker? Die Untersuchung wird irgendwann vorbei sein. Und wenn dann herauskommt, dass jemand vor vielen Jahren ein Match manipuliert hat, werden viele erleichtert sein. Mir macht das eher mehr Angst. Denn wir können doch nach dieser Lawine nicht mehr vier oder vierzehn Jahre warten, bis wir einen Spielbetrug aufdecken. Um Vertrauen zurückzugewinnen, brauchen wir für die Zukunft ein System, das quasi in Echtzeit zuschlagen kann. Betrüger abgeführt nach Spielende statt Jahre später fünf Minuten vor einem ganz anderen Match. Dynamisch, expertengestützt, mit technischer Finesse. Kriegen wir das hin? Ja okay, da lachen wir jetzt alle und denken ans Live Scoring und die vielen Daten, die nicht einmal im Live Scoring erfasst werden.

Wie geht es weiter mit dem chinesischen Snooker? Aktuell sind ja nicht alle chinesischen Spieler suspendiert. Aber zehn von zehn Suspendierten sind chinesische Spieler. Ich denke mit großer Bitterkeit an meine Begeisterung für die neueren Entwicklungen im chinesischen Snookersport zurück: Sportlich, weil die jungen Spieler regelmäßiger über das Achtelfinale hinauskamen und wir die vorher beliebte Storyline von der chinesischen Sensation mit drei Centuries, die in der nächsten Runde zu Null gegen Ryan Day verliert, losgeworden sind. Fantechnisch, weil wir die Spieler besser kennenlernen durften, mit untertitelten Interviews und lustigen Videos. In Yan Bingtaos Kühlschrank durften wir gucken. In sein Herz nicht. Lässt sich das reparieren?

Wie geht es weiter mit dem German Masters? Wir haben kaum Top-16 Spieler in Berlin und langsam auch kaum noch Matches, nachdem nun vier von 16 Matches der ersten Tempodrom-Runde nur noch einen Beteiligten übrig haben. Durch die saufrühe Qualifikation fällt das alles mitten rein ins Turnier. Kann man da etwas retten? Kitten? Mit einer Extraqualifikationsrunde für diejenigen, die gegen die Suspendierten verloren haben? Als David-Grace-Fan würde ich mir das besonders wünschen. Wird das klappen? Eher nicht. Hat es das German Masters verdient, dass WST sich offen und laut den Kopf darüber zerbricht? Sowas von. Zumal ja auch das letztjährige Finale Gegenstand vieler Spekulationen ist. Naiv wäre es, nicht mit einem schlechten Bauchgefühl an jenes Match zurückzudenken. Wir brauchen diesbezüglich Klarheit vor dem Anstoß im Tempodrom. Ist das Finale 2022 Teil der Untersuchung? Wie ist der aktuelle Stand? Wenn wir mit juristischen Disclaimern und Fragezeichen und Getuschel durchs Tempodrom eiern müssten, wäre das eine inakzeptable Respektlosigkeit gegenüber dem German Masters.

Wie geht es weiter mit dem Fan-Sein? Bisher sind die Fans noch nicht aufgetaucht in der Krisen-Kommunikation. Wir dürfen weiter lustige Videos gucken und bei lustigen Gewinnspielen mitmachen. Aber wo wird unsere Traurigkeit aufgegriffen, unsere Frustration, unsere Bitterkeit, unser Sich-betrogen-fühlen? Dafür braucht es ein Ventil – die Higgins-Krise deutet an, was sonst passiert. Wer diesen Skandal wirklich vollständig aufarbeiten will, muss Raum dafür schaffen. Denn Snooker, auch das lernen wir, ergibt nur Sinn, wenn jemand hinschaut: Wenn jemand dem Geschehen unabhängig auf die Finger schaut. Und wenn jemand mit Vertrauen und Leichtigkeit und Begeisterung und Fanschal zuschauen kann. Das wünsche ich uns für 2023.

Kathi