Na, seid ihr schon mal richtig lang in einer seltsamen Bar versumpft? Ganze Nacht durchgemacht? Zwischendurch gefragt, was das eigentlich soll? Oder warum die anderen auch immer noch da sind? Irgendjemand müsste doch langsam vernünftig werden…
Bei mir sind es jetzt schon ganze sechs Jahre hier in der LochBar. Los ging es nämlich vor dem Masters 2015. Damals wurde noch umgebaut im Alexandra Palace, um aus dem Darts-Dschungel einen Snookertempel zu machen. Heute hätten wir für so etwas flauschige Millionärssofasmitbutlerservicezumspitzenpreis zur Verfügung – aber die stehen im Moment natürlich bei Barry Hearn im Geldspeicher.
Weihnachten hat offiziell zwölf Tage – aber Snooker kann das toppen! Uns erwarten ab Montag 35 aufeinanderfolgende Tage Snookerweihnachten mit nur einem Tag Unterbrechung am 27.11. – aber da schieben sie bestimmt spontan noch eine Gruppe der Championship League rein.
Es ist immer noch 2020, und selbst in unserer beschaulichen Snookeroase werden die fundamentalsten Naturgesetze in Frage gestellt. Zum Beispiel die Grundregel, dass Judd Trump maximal zwei Frames pro Spiel abgeben kann. Gerade in der Anfangsphase des European Masters in – klar – Milton Keynes (übrigens EU-Kultur-und-Kulinarik-Hauptstadt 2020-2023) lief zu diesem Thema eine umfangreiche Feldstudie, weshalb jedes einzelne Spiel von Judd Trump zu wissenschaftlichen Beobachtungszwecken im Fernsehen übertragen werden musste. Da haben die Experten genau nachgemessen, notiert und analysiert.
Die diversen Vorschau-Orakel zur Snooker-WM passten voll ins Jahr 2020: Da sollten die Qualifikanten den gesetzten Spielern die Frames nur so um die Ohren hauen – denn die Quali erschien wie die die einzige Vorbereitungsoase in der Turnierwüste. Gleichzeitig wiederum sollten Ronnie und Konsorten feuerwerksmäßiger aufspielen denn je – ganz ohne den Druck der „Ton Up“-Schilder und die Hintergrundmusik der Bonbontüten. Obendrauf sollte es eine WM zum Vergessen werden, mit wenig oder keinem Publikum und überhaupt gar keinem Spaßfaktor, weil ja immer alles so bleiben muss, wie es schon immer war.
Ob wir es wohl schon verlernt haben? Das könnte ernsthafte Konsequenzen haben. Steifer Nacken, lautes Mitzählen im Schlaf, exzessiver Fokus auf kugelförmige Lebensmittel, die Liste ist lang. Normalerweise gehen wir ja mit einer ganz anderen Form in die Snooker-WM – gestählt von Monaten vor dem Fernseher während der durchgetakteten zweiten Saisonhälfte.
Können wir nicht einfach über Snooker reden? Bitte? Sport und so? Nein? Wirklich nicht? Na gut. Wenn ein Tweet über eine WM mehr Diskussionen verursacht als die WM selbst, müssen wir da wohl noch mal kurz durch. Hintergrund: Die Öffentlichkeit – inklusive Spieler – hat zuerst durch den Tweet eines Eurosport-Kommentators von der Verschiebung der WM erfahren. Und dann ging es ab – als stünde Thepchaiya Un-Nooh am Tisch.
Kennt ihr diesen Pfadfinderfeueranzündtrick, bei dem man ein Brennglas in die Sonne hält und dann bündelt sich das Licht in einem einzigen Punkt und man kriegt ein Lagerfeuer? Alles konzentriert sich auf diesen einen Punkt, es wird heiß und noch viel brennend heißer. Genau wie im Tempodrom beim One Table Setup. 2000 Leute starren mehr oder weniger lautlos auf denselben Tisch. Die Spannung steigt und steigt. Bis dann mit Erwähnung des ersten Spielernamens alle in eine sofortige Standing Ovation explodieren. Das macht Spaß. Das macht dir Gänsehaut, wenn du hinter dem Tisch auf diese Wand an Menschen blickst.
Es ist kompliziert, so ein Weltranglistenturnier am Laufen zu halten. Manchmal muss man zu drastischen Schritten greifen und beispielsweise in einer langen Grundsatzdiskussion beschließen, dieses Jahr keinen laut brummenden Kühlschrank im Presseraum aufzustellen. Widmen wir diese Ausgabe der LochBar also den lustigsten und brisantesten Geschichten aus dem Backstage-Bereich. Das ist dieses Jahr gar nicht so leicht, denn der Presseraum ist mehr ein Presseaufenthalts- als ein Interviewraum. Interviews führt man jetzt lieber an den Trainingstischen – ist natürlich auch viel authentischer so.
Eine neue Ära ist angebrochen im Tempodrom, anders kann man das gar nicht sagen. Es gibt jetzt Polster auf den Sitzen und der neugewonnene Komfort ist schöner als so mancher Judd-Trump-hat-den-Frame-schon-sicher-Trickshot. Von denen hat er im ersten Frame seines Halbfinals gegen Graeme Dott direkt mal einige gezeigt. Danach ging es aber formtechnisch steil bergab und beim Stand von 3:3 ist es in der Entstehungsphase dieses Texts absolut unklar, wer das Spiel gewinnen wird. Vielleicht sollte ich die Security-Typen aus Dornbirn um Rat fragen, denn die sind letzte Woche wohl über Nacht von Ahnungslosen zu Snookerwettprofis geworden.
Okay, ich gebe es zu: Beim German Masters erst zum Viertelfinale einzusteigen, ist, als hätte man sich mit dem Mega-Cheat-Code direkt ins höchste Level manövriert. Aber mir blieb dieses Jahr keine andere Wahl – und so musste ich einfach direkt mit einer elektrisierenden Freitagabendsession ins Turnier starten. Vier unterschiedliche packende Viertelfinals, die eigentlich nur die Tatsache gemeinsam hatten, dass alle von Weltmeistern gewonnen wurden.