Neustart in Nürnberg (2)

Posted on August 27, 2023 by Kathi

Freunde, wir wollen raus aus diesem Defizitdenken im Snooker. Gut, noch lieber wollen wir aus den Defiziten an sich raus, aber das ist aktuell nicht drin. Also erfreuen wir uns an wunderbarem Ein-Chancen-Snooker von Un-Nooh, wenn die Bedingungen Anfang der Woche kein Maximum hergeben. An einem Käsetoast im Hochsommer, wenn das das einzige Essensangebot im Hipster-Café bei einem Ausflug mit Ben Woollaston ist. An einem Handyfoto vom Scoreboard, wenn es kein Live-Scoring gibt. An einer Rundfahrt durch Nürnberg, wenn der Taxifahrer keine Ahnung hat. An einem Billigeis mit Daniel am Infostand, wenn es kein Magnum gibt. An einer 134 im ersten Frame im Halbfinale, wenn du schon gegen deinen Kumpel spielen musst. An spannenden Gesprächen über die Zukunft des Snookersports, wenn die Gegenwart nicht so rosig aussieht. An einer tollen Sicht auf Ashley Hugills Tisch, wenn er schon gegen Carter spielen muss. Und dann gewinnt der auch noch! Und wie! Und mit was für einem Top-16-Souveränbreakbuilding! Geht doch. Für diese Leistungssteigerung im Vergleich zur letzten Saison hätte er eigentlich einen Preis verdient, so einen kitschigen mit einem Riesenpapierscheck und einer Blumenkette. Kommt, das gönnen wir uns. Hier kommen die Nürnberg-Gute-Laune-Awards mit Bratwurstkette:

Der Sommer-Coolness-Award geht eindeutig an Reanne Evans, die nicht nur die Temperaturen Anfang der Woche als angenehm beschrieb, sondern gegen David Gilbert auch ungerührt um gefühlte 16 Snooker spielte, um den Anschluss nicht zu verlieren. Auch wenn es am Schluss nicht gereicht hat, hat die Rekordweltmeisterin mal wieder alleine die Fahne des Frauensnookers hochgehalten. Darauf einen extrakalten Eiskaffee.

Der Möchtegernalleinrekordweltmeister bekommt natürlich den Armes-Würstchen-Award für seine Absage am Matchtag. Je mehr man Fan bleiben möchte, desto weniger hört man besser über die Umstände dieser Absage.

Wesentlich eifriger war da Schiedsrichterin Agnieszka Thomson unterwegs und bekommt dafür den Kompass-Award: Sie wusste vielleicht nicht immer, wo der weiße Spielball auf dem Tisch war, aber sie wusste immer, wo ihr Tisch war. Und so zerrte sie in mehreren Sessions die Spieler schon vor der Anmoderation durch Rolf Kalb an die Außentische. Auf geht’s, wir stehen doch hier nicht einfach rum und warten! Das sorgte für einige lustige Szenen mit verwirrten Spielern, aber ihr Enthusiasmus wird sie weit bringen.

Der Jaweristdennda-Award ist wie für Theo Selbertinger gemacht, der sein persönliches Schiri-Kapitel schon lange geschlossen hat, aber zur Freude aller Leute mit Snookerherz einfach einmal und charmant wie eh und je vorbeischaute.

Passend zur Wiedersehensfreude: Der Award für die Neusehensfreude geht an Ishpreet Singh Chadha für sein Century gegen den Weltmeister Luca Brecel, der seinerseits hoffentlich gerade das Wiedersehen mit seinem Queue feiert.

Den Disco-Award bekommt die Stroboskop-Lichtshow in der gesamten Arena am ersten Abend, als die Matches an den Außentischen noch liefen. Power Snooker lässt aus der Ferne grüßen. Es muss aber auch einen Shaun-Murphy-Disco-Inferno-Award für Shaun Murphy geben. Ich werde es niemals nicht lustig finden, wie er in der Menge der deutschen Fans badet. Dann gibt er noch 30 Autogramme und 3 Interviews über die technisch-innovative technologisch-explosive Technologierevolution im Snooker, die er plant: Mehrere Holzstöcke statt nur einem Holzstock.

Den Gemeine-Täuschung-Award vergebe ich an Judd Trump. Der machte mir bei seinem ersten Interview wirklich Sorgen, als er in sich zusammengesunken ohne Blick für irgendwen oder irgendwas nichtssagende Floskeln über die neue Saison flüsterte und dabei wahnsinnig unglücklich wirkte. Zack, auch bei Rückstand unschlagbar. Zack, Finale.

Ganze drei Awards gibt es für deutlich lustigere Auftritte im Presseraum. Der lange Weg dorthin – an den Trainingstischen und der TV-Produktion vorbei, dann beim Gabelstapler rechts und schon ist man in der Presseturnhalle ohne Steckdosen – lohnte sich dafür definitiv: Der erste geht an Mark Selby für seine pantomimische Darstellung des Kissens in seinem Hotelzimmer, das ihm wie ein Sitzsack vorkam. Wie immer fantastisch komisch, wie immer vor dem eigentlichen supersachlichen Interview, das ihr dann zu sehen bekommt. Der zweite Preis geht an Thepchaiya Un-Nooh für sein putziges Erschrecken, als der Pressekonferenz-Klappstuhl beim Aufstehen zurückklappte. Kann ich nachfühlen, ging mir genauso. Und dann haben wir am Schluss noch Wu Yize, der den Award für den besten Daumen-nach-oben bekommt. Ich bin Fan und habe es angesichts unserer Sprachbarriere mal mit einer Gesten-Gratulation versucht, die ich dann gleich doppelt und mit einem strahlenden Lachen zurückbekommen habe. Den Typ muss man einfach mögen.

Und auch das Turnier in Nürnberg muss man einfach mögen. Mein persönlicher Award geht an das Team hinter den Kulissen, das mich am Ende des sehr langen ersten Abends sogar zurück zum Hotel gebracht hat. Es war wie immer eine große Freude, live dabei zu sein und euch ein wenig mitzunehmen. Darauf können wir doch (lego)aufbauen.

Kathi